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Oftmals wird von den Boomern und auch von der Generation X auf die jüngeren Generationen etwas Gönnerhaft herabgesehen um sie als „soft“ zu diffamieren, weil diese aus Ihrer Sicht gerne und leichtfertig die Opferrolle einnehmen.

Dies ist auch in Italien wieder der Fall. Dort breitet sich aktuell die Ludopandemie aus und trifft einige bekannte italienische Fussballspieler. Wenn also jemand von euch zufällig Kontakt zu den Herren Fagioli, Tonali oder Zaniolo hatte, sollte man sich, vor einem schnellen finanziellen Absturz, untersuchen lassen. Die Ludopathie ist im Grunde nichts anderes als eine Spielsucht.

Ich möchte keinesfalls diese ernsthafte Erkrankung bagatellisieren. Leider scheinen die jungen Talente im italienischen Fussball oder zumindest ihre Agenten im Interesse ihrer Klienten, das anders zu sehen.

Ludopandemie

Was ist passiert?

Vor etwa zwei Wochen brach ein erneuter Wettskandal im italienischen Fussball aus.

Der Ausgangspunkt war eine Veröffentlichung von Fabrizio Corona, einer ambivalenten Persönlichkeit, die in mehrere Gerichtsverfahren verwickelt war (einschliesslich einer Haftstrafe) und beste Verbindungen in die VIP-Szene Italiens hat. Der „König der Paparazzi“ berichtete bereits Anfang August dieses Jahres, dass Nicoló Fagioli, ein aufstrebendes italienisches Fussballtalent und Spieler von Juventus, unter Spielsucht leide und dadurch Millionenschulden angehäuft habe.

Vor einigen Tagen wurde dies bestätigt, als bekannt wurde, dass Fagioli sich wegen illegaler Wetten bei der Sportjustiz selbst angezeigt hat, nachdem die Staatsanwaltschaft bereits Kontakt mit ihm aufgenommen hatte. Fagioli nutzte nicht nur illegale Plattformen für Wetten, sondern wettete auch auf Fussballspiele. Letzteres wird in der Regel von der Sportjustiz mit einer dreijährigen Sperre geahndet. Die Selbstanklage und die Umstände, einschliesslich der Spielsucht, führten zu einer milderen Strafe, weshalb Fagioli nun „nur“ für sieben Monate gesperrt wird.

Es stellt sich heraus, dass dies kein Einzelfall ist. Es kursieren Listen von Fussballern, die ebenfalls mit illegalen Wetten in Verbindung gebracht werden. Bisher wurden vor allem die Namen der beiden italienischen Nationalspieler Sandro Tonali (Tottenham, ehemals Milan) und Nicoló Zaniolo (Aston Villa, ehemals Roma) genannt.

Die Proklamierungen der Agenten

Bevor die Spieler an Untersuchungen teilnahmen oder vor der Sportjustiz erschienen, informierten die Agenten der beiden Spieler die Medien über die bevorstehenden Schwierigkeiten ihrer Mandanten. „Sandro (Tonali) spielt sein bisher schwierigstes Spiel, gegen die Ludopathie“ ², verkündete der Agent Beppe Riso. Es scheint jedoch, dass keiner der beiden erhebliche finanzielle Probleme hat, was ein nicht unerhebliches Kriterium für die Diagnose von Spielsucht ist. Was bei Fagioli festgestellt wurde, konnte bisher bei den anderen diskutierten Fällen nicht nachgewiesen werden, zum Glück. Doch zukünftig werden gestandene Fussballspieler möglicherweise rasch als Spielsüchtige dargestellt. 

 

 

 

 

„Sandro spielt sein bisher schwierigstes Spiel, gegen die Ludopathie“

Giuseppe Riso

Spieleragent

Proklamation

Wenig überraschend im Hinblick auf mildernde Umstände. Die zwei Genannten werden natürlich mit der Sportjustiz kooperieren beziehungsweise Selbstanzeige leisten, wurden sie bereits von den offiziellen Kräften (Staatsanwaltschaft) bei der Zusammenkunft der Nationalmannschaft abgeholt. Im Fall Zaniolo soll lediglich das Spielen auf illegalen Seiten, Poker und Blackjack, vorgekommen sein. Mehr als eine Geldstrafe wird es in diesem Fall wohl nicht absetzen.

Wetten auf die eigene Mannschaft

Die Sportjustiz sieht vor, dass Wetten auf Fussballspiele, die vom italienischen Fussballverband sowie der UEFA und der FIFA organisiert sind, bestraft werden. Im Fall von Tonali soll sogar der Verdacht bestehen, dass er auf sein damaliges Team (AC Milan) gewettet hat. Knapp am Sportbetrug vorbei, anscheinend hat er nur auf Spiele gewettet, in denen er nicht eingesetzt wurde ³. Warum ein erfahrener Profi, der nicht erst seit gestern in der Serie A spielt, sich zu solchen unangemessenen Handlungen hinreissen lässt, ist schwer nachvollziehbar. Ihm droht nun eine Sperre, die ihn möglicherweise von einer allfälligen Teilnahme an der EM fernhält. Er war bereits für die EM 2021 im Kader.

Andernseits hat das Wetten in Italien eine lange Tradition und ist stark verbreitet. War in den 80er jahren noch der Totocalcio in aller Munde, das italienische Sportoto, was in meiner kindlichen Wahrnehmung anno dazumal häufiger gespielt wurde als Lotto und einen grossen Stellenwert hatte, sodass sogar bei der altehrwürdigen Fussballsendung „90. Minuto“, die Totocalcio Ergebnisse und Gewinne mit hoher Priorität wiedergegeben wurden. Heutzutage sind die Online-Wettagenturen und auch mehr oder minder legale Wettbüros schnell zu finden. Gemäss eine Studie von 2020 sollen 42% der Teenager (14-19) bereits mit dem Glücksspiel in Kontakt gekommen sein, 5% gar wöchentlich (5). Bedenklich.

So kam es auch, dass Fagioli beim Zusammenzug der italienischer U-21 durch Tonali in Kontakt mit einer illegalen Platform kam und diese versuchte (4). Fagioli wird sich nun auch Hilfe holen, damit er mit der Situation klarkommen kann. Juve hat von einer Suspendierung vorerst abgesehen.

Fast so oft wie Weihnachten

Wettskandale in Italien, aber wahrscheinlich auch in vielen anderen Ländern, sind kein neues Phänomen. Die etwas erhöhte Regelmässigkeit, mit der Fussballskandale im Allgemeinen, Absprachen und Strukturen in Italien auftauchen, ist jedoch alarmierend. Die Vorkommnisse werden daraufhin ausgiebig diskutiert und wenn schon ans Licht gekommen, dann auch unter dem Miskroskop beäugt. Das ist in anderen Ländern nicht immer der Fall, wo der Wirbel gerne schnell unter den Teppich gekehrt wird.

Die Medien haben jetzt ein paar Monate Stoff, es wird noch lange gesucht, debattiert, berichtet, später dann verhandelt und letztendlich auch Recht gesprochen. Üblicherweise über mehrere Instanzen hinweg, in welchen die Strafmasse schrittweise abnehmen. Auch dies hat Tradition und wird sehr publik polemisiert, sodass noch Jahre später über allfälliges Unrecht beklagt wird. In Italien wird lieber über das Strafmass gestritten, anstatt die kriminellen Handlungen zu thematisieren.

Mit Sicherheit werden noch weitere Namen auftauchen und die Angelegenheit noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Unbestätigten Berichten zufolge stehen auch Spieler wie Zalweski (Roma), El Shaarawy (Roma), Gatti (Juventus) und Casale (Lazio) unter Verdacht gegen das Wettverbot gehandelt zu haben. Druckfrisch von heute Abend (20. Oktober) scheint, als wäre auch Barella (Inter) zur Staatsanwaltschaft eingeladen worden (6).

Schöne Bescherung.

 

Die bekanntesten/grössten italienische Wettskandale:

"Toto Nero" 1980
  • Zwangsabstieg in die Serie B von Milan und Lazio und Punktabzüge in der Serie A für Avellino, Bologna, Perugia.

  • 20 Spieler mit Sperren belegt, bekanntester unter Ihnen Paolo Rossi für 2 Jahre. In erster instanz mit einer dreijährigen Sperre belegt, welche ihn von der WM 1982 in Spanien ferngehalten hätte.

"Toto Nero Bis" 1986
  • Punktabzüge für neun Teams in drei Ligen u.a. Lazio und Udinese.

  • Sperren für fünf Präsidenten, zwölf Trainer und 34 Spieler (wenig bekannte Spieler).

"Scommessopoli" 2011, erste Untersuchung
  • 15 Vereine (Atalanta, Healls Verona, Ascoli, …)

  • 26 Spieler (u.a. Cristiano Doni, Beppe Signori, Manfredini)

"Scommessopoli" 2011-12, zweite und dritte Untersuchung
  • 16 Vereine

  • 26 Spieler und Trainer (Ventola, Sartor, Antonio Conte, Bombardini, Luigi Sala, Christian Stellini, …)